Dienstag, 4. August 2009

montaigne-mäßig

Ost-Ennerich (VSE)
3. 8. 09 Mo

Ein Turm wie Montaigne, das wäre schön; das hat mir den französischen Selberdenker aus dem 16. Jahrhundert, zur Zeit der ersten ‘Globalisierung’ und um sich greifenden Medienrevolution gleich sympathisch gemacht. Und dann natürlich was er schrieb und vor allem wie er schrieb, wie er die Gedanken aneinanderfügte, mit alten lateinischen Zitaten würzte und dabei immer einen interessanten Bogen spannte. Eine Annäherung an ein Thema, eingestandenermaßen subjektiv und damit spontan und originell, aber keinesfalls systematisch und erst nicht umfassend, halt mehr ein Versuch aus der Stimmung heraus, wie es sich in besonderen, dicht gepackten Momenten gelegentlich ergibt. Der Ansatz imponierte mir gleich - mit der eigenen Sicht der Dinge herausrücken auf eine unterhaltsame und dabei lehrreiche Art (da könnte man montaigne-mäßig Horaz zitieren - delectare et prodesse) und gleich hinterherschicken, daß die Erkenntnis nicht unbedingt für alle und zudem nicht für alle Zeit gelten müsse. Eine gesunde Haltung wie auch ein geschickter Schachzug, denn wie kann man anders den Dogmatikern Paroli bieten ? Nur indem man sie herausfordert und klar zu verstehen gibt, daß man ihren Anspruch auf Wahrheit und Geltungshoheit für die eigenen Gedanken und Schriften erst gar nicht anstrebt und sie deshalb in provokativer Bescheidenheit schlicht Essais, also auf deutsch Versuche nennt. Aber lassen wir den Meister aus dem 16. Jahrhundert doch selbst zu Wort kommen.

AN DEN LESER

Dies hier ist ein aufrichtiges Buch, Leser. Es warnt dich schon beim Eintritt, daß ich mir darin kein anderes Ende vorgesetzt habe als ein häusliches und privates. Ich habe darin gar keine Achtung auf deinen Nutzen noch auf meinen Ruhm genommen. Meine Kräfte sind eines solchen Vorsatzes nicht fähig. Ich habe es dem persönlichen Gebrauch meiner Angehörigen und Freunde gewidmet, auf daß sie, wenn sie mich verloren haben (was ihnen recht bald widerfahren wird), darin einige Züge meiner Lebensart und meiner Gemütsstimmungen wiederfinden und durch dieses Mittel die Kenntnis, die sie von mir hatten, völliger und lebendiger erhalten können. Hätte es mir gegolten, die Gunst der Welt zu suchen, so hätte ich mich besser herausgeputzt und würde mich in zurechtgelegter Haltung vorstellen. Ich will, daß man mich darin in meiner schlichten, natürlichen und gewöhnlichen Art sehe, ohne Gesuchtheit und Geziertheit: denn ich bin es, den ich darstelle. Meine Fehler wird man hier finden, so wie sie sind, und mein unbefangenes Wesen, soweit es nur die öffentliche Schicklichkeit erlaubt hat. Und hätte ich mich unter jenen Völkern befunden, von denen man sagt, daß sie noch unter der sanften Freiheit der ersten Naturgesetze leben, so versichere ich dir, daß ich mich darin sehr gern ganz und gar abgebildet hätte, und splitternackt. So bin ich selber, Leser, der einzige Inhalt meines Buches; es ist nicht billig, daß du deine Muße auf einen so eitlen und geringfügigen Gegenstand verwendest.
Mit Gott denn, zu Montaigne, am ersten März 1580.

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∞ 21. ∞

Dumm aber nenn ich das Land,
das sich von anderen vorschreiben läßt,
wie es zu sein habe.
Und wer noch etwas anderes
lesen möchte,
hier der letzte Beitrag
aus: eos-o-ton

Musikspur: J. S. Bach - Air

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