Mittwoch, 10. Februar 2010

wie Winter in Moskau



Ost-Ennerich (VSE)
9. 2. 2010, Di
Gestern gleich dreimal die vereiste Fußgängerzone passiert; nicht wegen Einkäufen, sondern weil mein Weg mich derzeit fast täglich durch die Wilmi führt. Seit fast sieben Wochen nun durchgängig von einer hohen Lage Schnee bedeckt, die inzwischen natürlich schon längst in sich zusammengefallen und nach kurzer Auftauphase die letzte Woche zu eim bizarren Eispanzer erstarrt ist. Ein Mini-Gletscher sozusagen aus schmutzigem Eisbeton, der die gesamte breite Geschäftszeile überzieht; mit Ausnahme eines (noch nicht mal durchgehenden) lächerlich schmalen geräumten Streifens auf jeder Seite, der direkt an der Gebäudefront entlangläuft . Als ich dann spät bei Minusgraden dieselbe durchschritt, diesmal nahezu ohne Gegenverkehr, es war schon nach Geschäftsschluß, mußte ich unwillkürlich denken - ja, so stell ich mir den Winter in Moskau vor: Eis und Schnee auf etliche Monate, zu Bergen aufgeschüttet und als hohe Wälle die Straßen säumend. Und siehe da, man gewöhnt sich auch daran. Aber dort sinkt das Thermometer des öfteren allerdings, wie man weiß, noch ein gutes Stückchen weiter in den Keller. Trotzdem meine ich nun in etwa eine Vorstellung davon zu haben, denn soviel Winter am Stück war in diesen Breiten schon sehr lange nicht mehr. Und er hält uns auch weiter im Griff, das Tauwetter die letzte Woche erwies sich ja doch nur als kurzatmiges Intermezzo und bis zu den befreienden Versen ‘Vom Eise befreit sind Strom und Bäche …’ dürfte es noch eine ganze Weile hin sein. Der Winter zeigt sich heuer als Elementargewalt, die dem Menschen mal eben seine Grenzen aufzeigt und so die wahren Verhältnisse aufzeigt bzw. diese zurecht rückt; nicht viel anders oder ganz so, wie es dieser rauhe, kernfeste Mann in vergangenen Jahrhunderten auch schon gehalten hat. Was heute jedoch auffällt, ist der Eindruck, als wären die Menschen, die Räumkräfte und die Institutionen allesamt kalt erwischt worden. Man hat die vereisten und teilweise extrem glatten Gehwege und Straßen zum großen Teil einfach hingenommen, ist vorsichtig aufgetreten und hat ein bißchen geschimpft, ganz so wie bei anderen Zumutungen von oben auch, und darauf vertraut, daß schon bald wieder alles wecktauen würde. Aber genau diesen Gefallen mochte der Winter uns nicht tun, abgesehen von einigen Tagen mit Tagestemperaturen über Null, die das Eis auf den Gehwegen in Matsch verwandelten. Immerhin ein Zeitfenster von mindestens zwei Tagen, an denen man ohne großen Kraftaufwand die Gehwege mit eim bißchen Kehren und eim bißchen Schippen schnee- und eisfrei bekommen hätte. Doch diese Chance wurde weiter nicht genutzt, am ehesten noch von Privatleuten, aber am wenigstens von den Geschäftsleuten, die entweder einen breiten rutschfreien Zugang zu ihren Läden nicht als besonders wichtig erachteten oder es einfach nicht geregelt bekamen, für einen solchen zu sorgen. Eine derartige Nachlässigkeit, so die einhellige Meinung bei älteren Berlinern, hätte es vor dreißig Jahren nicht gegeben. Der WELT war dieser anhaltende Mißstand letztens sogar einen Leitartikel wert und der Autor wertete das Versagen als symptomatisch für den Zustand des ganzen Landes. Gemeinsinn, Verantwortung und Pflichtgefühl sind inzwischen, wie dies Beispiel zeigt, leider Mangelware. Wie wird es also sein, wenn andere unverhoffte Ereignisse mit Sitzfleisch, die man nicht (mehr) so ganz auf der Rechnung hat, mit Macht eintreten und das Leben stark beeinträchtigen und in Mitleidenschaft ziehen, mögen sie nun durch elementare Kräfte, Wetterkapriolen und Klimaschwankugen von außen oder durch Verschärfung des gesellschaftlichen Klimas und im Gefolge sozialer Eruptionen von innen her verursacht oder angestoßen worden sein.

Wer sich für die Macht des Plötzlichen interessiert …

Für den Spruch zum Ausklang habe ich mich aus eim der letzten Beiträge bedient, da ich es schade fände, wenn dieser Satz, der im Vorspann zum Knut-Wetter stand, nicht noch einmal extra herausgestellt würde, schließlich charakterisiert er diesen Winter in Bezug auf eine gewisse Prognose äußerst knapp und auf saloppe Art.




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≤ 42. ≥

Der Winter hustet dem Klimawandel was;
(und all denen, die uns damit schrecken wollen)


…Musikspur: Der Winter - Allegro / Vivaldi (Viktoria Mullova) …



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